Wellenreiten am Bodensee — Endless Wave – D.I.Y.
Fotos: Andi Schmahl – Text: Alex Lenz
Deutsche Meisterschaften im Windsurfen auf Sylt, Anfang August 2019. Es stürmt. Der Wind ist so stark, dass wir unsere Ausstellungstücke im Zelt festbinden müssen. Der Veranstalter hat alles gesichert, was dem Winddruck nicht standhält und ein Schweizer Aussteller rollt mit fünf, sechs Leuten einen alten VW T1 vom Gelände, weil er Angst hat, dass herumfliegende Gegenstände das Fahrzeug beschädigen.
In den Tagen vorher hatte er noch eine Plastikplane über den Wagen gespannt, die nun zerfetzt und reichlich mitgenommen im Wind flattert und von der Crew entfernt wird. Auf der Nordsee ist es leer geworden. Denn die Wellen sind hoch genug, um den Normalbürger vom Wasser fernzuhalten. Local Tide sozusagen. Lediglich ein paar Leute unserer Findedeineline Crew und vom Surfclub sind draußen und trotzen den Wasserbergen. Wellenreiten ist logischerweise nur mit Wellen möglich. In diesem Fall ist es für mich ganz und gar unmöglich herauszugehen. Mit dem Longboard würde ich wahrscheinlich noch nicht mal über den Shorebreak kommen und mit dem Wave SUP wäre ich bei neun Windstärken mehr Segel als Paddler. Mitten in diesem Chaos geht ein Typ gemütlich zum Wasser. Sein Neoprenanzug hat schon bessere Zeiten gesehen. Zu meiner Überraschung scheint er nicht Kiten zu wollen, wie die meisten der Wassersportler mit Trapez, die ich hier auf Sylt gesehen habe. Optisch erinnert er mich an die Windsurfer der alten guten Zeit. Lange Haare, braungebrannt, topfit und furchtlos. So wie wir halt sind – die Surfer der älteren Generation. Naja, hin und wieder.

Das Windsurfen ist nur noch ein Schatten der 80er oder 90er Jahre. Die große Popularität ist dahin. Ausnahmesportler wie Vincent Langer, Gunnar Asmussen oder Nico Prien werden zur Kenntnis genommen, doch nicht mehr so hofiert wie ein Robby Naish, Bernd Flessner oder die Kampfmaschine Björn Dunkerbeck. Die Medienpräsenz ist auf ein Minimum geschrumpft. Und eine Volkssportart ist das Windsurfen schon seit Jahren nicht mehr. Die Preise für die Ausrüstung sind unerschwinglich. Dazu kommt ein extremer Aufwand, den der Sportler mit dem Transport und Aufbau bewältigt. Aber kennst Du den wirklichen Grund, der das Stehsegeln in den Augen vieler Unwissender so unsexy gemacht hat? Der Zeitgeist. Das Erlernen dieses großartigen Sports ist zwar einfacher geworden, doch um fortgeschritten zu surfen, bedarf es etliche Übungsstunden und Geduld. In diesen modernen Zeiten, in denen schnell konsumiert und langwieriges Lernen meist als Zeitverschwendung angesehen wird – gepaart mit der Bequemlichkeit der jüngeren Generation ist Kite- oder Wakeboarding heutzutage erste Wahl.
Doch an diesem windigen Tag schnappt sich der Mann im Wetsuit von ION sein mit einem fünf Quadratmeter großen Segel bestücktes Windsurfboard und springt unerschrocken in die tosende Nordsee. Angepowert feuert er auf die erste Welle zu, die ihm entgegenkommt.
Und dann sieht es so aus, als wenn jemand sein Brett unter Wasser festhält. Er stürzt und eine Weile versucht er, zurück auf das Board zu kommen. Nach fünf Minuten gibt er auf, während am Ufer sorgenvolle Blicke auf ihn geworfen werden. Es dauerte dann eine weitere Viertelstunde, bis er wieder an Land kommt, um eine neue Finne zu suchen. Anschließend geht es zurück in die Nordsee. Mit einer hohen Geschwindigkeit surft er der zweiten Sandbank entgegen, wo der Wind die Wellen gefühlt haushoch auftürmt.
Andy Schmahl, so heißt der Mann und war uns bis dato unbekannt. Man sieht Menschen, kann sie aber nicht zuordnen. Nun haben wir endlich einen Namen zum Gesicht. Und weil uns seine Geschichte interessiert, haben wir mal nachgehakt, was hinter dem Surfer steckt. Eigentlich ist er weder Sylter, noch ist Windsurfprofi. Mit seinen 48 Jahren wäre Letzteres wohl auch vermessen. Er kommt aus dem bayerischen Inning am Ammersee. Dort ist ebenfalls ein verhältnismäßig großes Wassersportgebiet. Wenn auch mit weniger Wellen. Und hier ist quasi der springende Punkt. Wellen in Bayern. Gibt es nicht? Doch! Der gebürtige Kieler Andy ist dafür zuständig. Nicht dass er das Gewicht hätte, um beim Schleudersturz welche zu erzeugen. Seine Idee ist so einfach, wie sie genial ist und unmittelbar mit seiner Jugend verbunden, die er am Homespot von Vincent Langer und Nico Prien auf dem Wasser verbrachte.

Wellenreiten am Bodensee
Viele von euch werden künstliche Wellen kennen. Es gibt stehende Wellen, die teils in der „Natur” entstehen, wie am Eisbach in München. Mittlerweile gibt es sogar transportable stehende Wellen. Der Ausdruck „stehend” bedeutet nicht, dass man sie stehend abreitet. Vielmehr ist es ein Hinweis darauf, dass sie immer am gleichen Platz läuft. Während sich am Meer die Welle aufbäumt und nach vorne wegläuft, entsteht die künstliche Welle durch eine Gegenströmung. Das macht das Surfen ungleich schwerer und es dauert je nach Talent recht lange, bis man ein Erfolgserlebnis hat. Wobei der Lernprozess schmerzhaft werden kann. Ich will es nicht verdammen, für den Binnenländer die einzige Möglichkeit zum Trainieren.
Andere künstliche Wellen sind Lösungen, bei denen das Wasser mechanisch weggedrückt wird, was dann wiederum eine richtige Welle erzeugt. Diese Methode, die die besten Wellenergebnisse produziert, ist leider exorbitant teuer und ist deshalb sehr selten zu finden. Bei San Sebastian existiert einer dieser Oasen und Gerüchte besagen, dass auch München bald seine richtige Welle bekommt.

Denn während beim Wakeboarden ein Einspitzeln bei schneller Geschwindigkeit zu einem wirklichen harten Abgang führen kann, fährt man mit dem Surfboard eher gemäßigt schnell und kann immer noch reagieren, wenn etwas schief geht. Laut Andy braucht man zehn bis fünfzehn Minuten, um in der Welle seinen Spaß zu haben. Bedenkt man die Stunden, die aufgewendet werden müssen, um am Atlantik oder Nordsee ein ähnliches Erfolgserlebnis zu haben, so ist dies schon bahnbrechend. 200 – 250 Euro kostet das Vergnügen für eine Gruppe von drei Sportlern und ist somit durchaus finanzierbar. Interessant ist Wellenreiten am Bodensee für jeden. Für den „landlocked Surfer”, dem „Kook”, der das Gefühl der Welle genießen will und den „Pro”, der seinen Skill verbessert.
Eine Altersgrenze gibt es nicht, da die Anstrengung sich im Rahmen hält. Kein Raus- oder Anpaddeln wie in der offenen See. Das Anfahren ist der schwierigste Teil, gefolgt von dem Erstaunen, dass man in der Lage ist, zu surfen. Eine gewisse Fitness sollte selbstverständlich vorhanden sein.
Natürlich besteht auch die Möglichkeit des Wakeboardings. Ballast verringern – Gashebel nach vorne und rauf auf die Wakeboards, die von Goodboards zur Verfügung gestellt werden.
Wakesurfen, also das Wellenreiten am Bodensee, ersetzt nicht den Surfkurs an den Stränden dieser Welt. Regeln über das Verhalten in der Welle, Strömungsverhältnisse, Anpaddeln, den Spot und das Erkennen der Welle, die Gefahren unterhalb der Welle und das Wissen darüber, kannst du beim Wakesurfen nicht erlernen. Doch dieses großartige Gefühl des Wellenreitens teilst Du mit all den anderen Wellensüchtigen. Deshalb auf an den Bodensee. Auf der www.surf-coach.de kannst Du Kontakt mit Andy und seinem Team aufnehmen und Deine Surfstunde mitten in Bayern buchen. Über den Winter ist wenig los. Das Team ist in Kapstadt beim Surfen oder auf den Bergen im Tiefschnee unterwegs. Doch so sicher, wie der Frühling kommt – so sicher wird es sie am Bodensee wieder geben: Die endlose Welle!

Edit: Der Artikel ist erstmals im Stokemagazin 2020 erschienen. In derZwischenzeit hat Andy bereits wieder einige Titel mehr. Unter anderem ist er Weltmeister der Senioren auf der stehenden Welle geworden. Das unterscheidet sich natürlich vom Wellenreiten am Bodensee.
Revier: Der Bodensee liegt an der Schweizer Grenzeim und besteht aus zwei Seen und einem sie verbindenden Fluß. In erster Linie findet ihr auf dem Bodensee Segler, Windsurfer und Wakteboarder. Umrandet ist der Bodensee auf der deutschen Seite von einigen Seebädern. Die Tiefenbereiche des Bodensees sind von der Wasseroberfläche bis zum Seegrund in verschiedene Sektionen aufgeteilt. Vom Ufer aus gesehen sind dies der Hang, bis ca. 3 bis 5 Meter Tiefe, gebildet vom Wellenschlag. Im Winter, bei Tiefwasserstand, liegt dieser Bereich zum größten Teil trocken. Bis ca. 20 Meter folgt anschließend die Wysse, abgeleitet von der Farbe Weiß. Durch Wellengang aufgewirbelter Ton gibt dem See in diesem Bereich eine weißliche Tönung.
Die abfallenden Grundsektionen um 200 Meter nennt man Tiefhalde und der unterste Seegrund bei rund 250 Metern heißt Tiefer Schweb. Die tiefste Stelle des Bodensees liegt bei 251 Meter. Das alles macht das Wellenreiten am Bodensee natürlich nicht möglich. Aber der Winterswelll kann schon einmaler erstaunliche Wellen erzeugen. Dann wir das Wellenreiten am Bodensee tatsächlich möglich.