
Nach vier Monaten Promojob, die uns in fast jeden Winkel Deutschlands führten, war es Zeit, ein wenig zu sich zu kommen. Surfen, Schreiben, alte Bekannte treffen. Vor allen Dingen ging es darum, Geschichten zu sammeln. Denn in einer Zeit, in der man Longboardbrands die News beinahe mit Waffengewalt abringen muss, bleibt einem eben nur die Möglichkeit direkt hinzufahren und zu schauen, warum dies so ist. Viel Spaß mit diesem Reisebericht aus dem Baskenland.
Und die guten Storys lauerten an der Küste meiner „dritten Heimat”: dem Baskenland. Da ist der verrückte Schweizer, der mal eben mit dem Skateboard und einem Handkarren 4000 Kilometer nach Portugal rollt. Die „Sportjam” in San Sebastian, entpuppte sich als die kleinste Messe der westlichen Hemisphäre. Und doch fand ich den einen oder anderen interessanten Kontakt. Das neue Fabrikgebäude von HLC, nahe Irun, war extrem eindrucksvoll. Immer wieder eine Reise wert: Der Showroom von Sector9 in Hossegor, dessen Anzahl an ausgestellten Boards so gut wie jeden bekannten Shop in den Schatten stellen dürfte. Dazu musste ich mich „nur” in einen Leihwagen setzen und 1200 Kilometer in den Südwesten fahren.
By the way, eine tolle Idee, Autobahnen in Frankreich zu vermeiden, um Autobahngebühren zu sparen. Kurz nach Verdun folgte ich blind dem Navigationsgerät. Um zu vermeiden, dass ich falsch abbog, setzte ich zwei Navis ein. Das im Handy und das im Auto installierte. Während eine sonore Damenstimme aus dem Lautsprecher des Handys mir Mut machte, war es, als wenn die Dame aus dem Auto Navigationsgerät ein gewisses Aggressionspotential in sich trug. So bitchten die beiden sich an und komischerweise hatten sie unterschiedliche Ansichten, was die Streckenführung betraf. Das von Google angetriebene Navi, erschien mir aber genauer.
Auf Landstraßen durch nicht endende Wälder zu fahren, ist ein ganz großes Kino.
Der Nebel wabert und reduziert die Sicht auf wenige Meter. Ab und wann schaut ein Wildschwein durch das diesige Dickicht und das Adrenalin schießt durch den Körper – macht wach für weitere Waldwege. Obelix war anscheinend nicht sonderlich erfolgreich.
So viele Wildschweine. Ein hundert Kilo schwerer Eber auf der Kühlerhaube würde schnell für ein Ende des Kurztrips sorgen.
Aber am Ende führt mich der Weg wieder auf die Autobahn Richtung Bordeaux. Danach kam die Küstengegend um Lacanau, die sich irgendwie vertraut anfühlt und nach knapp zwanzig Stunden Fahrt nahm ich Kurs auf Hossegor, um Sector 9 zu besuchen.
„Maui“, der Marketingleiter war leider nicht da. Meinen Kaffee machte mir ein anderer Dude, der ebenfalls von Deutschland an die Atlantikküste gezogen war. Überhaupt scheint es dort in Hossegor eine kleine deutsche Enklave zu geben. Wobei das Industriegebiet dutzende von Surfshops beherbergte. Jede Surfmarke, die etwas auf sich hält, betreibt dort einen kleinen Shop. Kannte ich jedoch alles schon – und wirklich neu war dort nichts. Also weiter Richtung Süden, Richtung spanische Grenze. Eine Stunde später sah ich von einer Klippe auf die Bucht von Hendaye. Endlich. Wie ich schon angedeutet. Aus irgendeinem Grund habe ich mich in diesen Ort verliebt. Das hängt vielleicht damit zusammen, dass der Ort sehr vom Surfen geprägt ist und Skaten, Longboarding und Surfskaten dort einfach dazugehört. Hier wurde ich nicht doof angeguckt, wenn ich zum Supermarkt rolle, um mir was zu Essen zu besorgen. In Deutschland bemerke ich schon eine gewisse Skepsis. „Sind sie nicht zu alt dafür?“, hin und wieder spricht jemand aus, was die spöttischen Blicke mir auch wortlos mitteilen. Ab einem gewissen Alter scheint es nicht mehr salonfähig zu sein, auf dem Skateboard zu rollen. Die Diskussion hatten wir bereits vor einigen Jahren. Ausgelöst von einer eifrigen Brigitte Redakteurin, die daraufhin im Shitstorm unterging.

Ihre These war, dass man ab etwa 30 Jahren nicht mehr Skateboard fahren solle, weil man dann zu alt sei. Geschissen drauf. Komisch, hier unten im Südwesten Frankreichs interessiert das keine Sau. Als Berufsjugendlicher bleibt mir ohnehin keine Wahl.
Die Gegend im Baskenland gilt als das europäische Kalifornien, wenn ich auch immer wieder vor dem stunden- oder tagelangen Regen ins Auto flüchten musste, kann ich das nur bestätigen. Es schien mir, als ob jeder dort surft oder skatet. Und damit meine ich AUSNAHMSLOS.
Der Forecast für die Atlantikküste besagte 2,50 Meter bei 14 Sekunden und unsere Belgier rieten mir ab, dorthin zu fahren. Zu groß, zu viel Wucht und ähnliches. Egal! Dort angekommen, sah ich Wellen, die mir doch Respekt einflößen. Die Art von Wellen, die beim Einschlag eine türkise Farbe annehmen und – betrachtet man sie von hinten, der Kamm vom ablandigen Wind weggeblasen wird und sie dadurch ihr eigenes kleines Regengebiet nach sich ziehen. Das Geräusch dass sie dabei machen, hört sich an wie ein Rasensprenger im Garten, der seine Tropfen für kurze Zeit auf ein bestimmtes Gebiet verteilt. Mit dem Unterschied, dass dieser nicht wenige Augenblicke später explodiert.
Angst? Oute ich mich als Weichei? Mein inneres Auge glich mein Können mit der Wellenhöhe ab und signalisierte meinem limbischen System, dass hier auf dem warmen Fahrersitz rumzulungern, keine ganz so doofe Idee ist. Angst ist vielleicht auch das falsche Wort. Denn unter dem Strich gibt es in Hendaye keine Unterströmung oder Buhnen.
Und doch glimmt im Unterbewusstsein das Gefühl, dass es ein Fehler wäre, DA hinauszupaddeln. Mein Problem war, was tue ich, wenn ich tatsächlich so ein Monstrum reite? Komme ich rechtzeitig raus oder werde ich einfach nur am Ende der Welle in einer Wolke aus Gischt, Wasser, Paddel und Board verschwinden?
Also saß ich im Auto, schaute durch die regennassen Scheiben und verfluchte mich, ob der bescheuerten Idee hierher gefahren zu sein. Regen, Wind und viel zu hohe Wellen. Ich stieg aus und lief an der Kaimauer des Hafens, bis zum Ende – next Stop Neufundland – Frankreichs. Die Wellen saugten zwischen den riesigen Granitblöcken und machten sich dann weiter auf – Richtung Strand. Und irgendwo da, sagte ich mir:
„Du hast so vielen Leuten das Surfskaten beigebracht, mehrere Sommer Menschen das Stand-up Paddeln in Theorie und Praxis erklärt und hin und wieder die Grundzüge des Wellenreitens, ohne dass du hier selbst große Erfahrung hast. Stelle dich deinen Ängsten. Tschakka – du schaffst das.”
Ich schnappte mir mein Board, wartete bis der Atlantik wieder eines dieser Sets abgefeuert hatte und paddelte in dem kurzen Zeitraum, wie ein Irrer hinter die Zone, in der die Wellen einschlugen. Nun stand ich hier also rum. Weit weg von den anderen Surfern. Denn, um sich auszumalen, was passiert, wenn ich Baden gehe und irgendwer zwischen meinem Board und dem Strand im Wasser ist, muss man kein Plasmaphysiker sein.
Während die Nordsee aus viel Geschwabbel besteht und die Wellen schwer zu berechnen sind, ist der Atlantik, was das betrifft, einfacher gestrickt. Und dann kam sie – meine erste große Welle. Am Horizont konnte ich ausmachen, wie das Wasser sich dunkel verfärbte. Noch war keine Welle zu sehen. Nur die Verfärbung des Wassers, wie die Ankündigung etwas Unheimlichen. Doch das dunkle Blau erhob sich langsam und kam wie eine Wand aus Wasser auf mich zu. Und dann war es, als wenn ich noch nie etwas anderes gemacht habe. Zwei schnelle Schläge und das Board nahm eine Geschwindigkeit auf, die ich kaum für möglich gehalten hatte. Auf das Tail treten und seitlich fahren – läuft… bis beinahe zum Strand. Stolz schaue ich mich um. Niemand hat es gesehen, kein Foto davon.
Schade. Auf ein Neues. Gleiches Szenario, dann wollte ich selbst sehen, wie hoch die Welle ist, um dieses Bild mitzunehmen. „Huch” entfuhr es mir, nachdem ich anfing, seitlich zu fahren. Direkt neben meiner Kopf sah ich weißes Wasser. Vor lauter Schreck kippte ich Richtung Welle und wurde herumgewirbelt. Der Versuch mit der Planke einen Turn zu fahren, war wohl die blödeste Idee, denn der Bewegungsablauf mit dem schweren Board funktioniert nicht, wie auf einem Surfskate. Es war mehr, als wenn man im Schlamm stecken geblieben ist. Die Leash an meinem Bein zog wie ein 40 kg Karpfen an der Angel eines Hobbyfischers.
Der Unterschied zu den Spots, die ich bisher gefahren bin, war, dass es dort nach dem Abflug keinen Bodenkontakt gab. Das hat Vorteile: Kein gebrochener Fuß, wie ihn sich ein guter Freund letzten Herbst geholt hatte oder einen harten Einschlag auf Stein oder Sand. Den Nachteil sah ich wenige Sekunden später, als ich mich Richtung Board gekämpft hatte. Ich drehte mich schwimmend um und eine Wasserwand kam auf mich zu, von der ich wußte: Egal was ich nun mache. Ich entkomme nicht. Also durchtauchen und danach noch eine, und dann noch eine. Hört das gar nicht auf? So langsam stieg die Panik in mir auf. Dabei war ich noch nicht mal lange unter Wasser, geschweige denn in der berühmten Waschmaschine. Alleine das Gefühl, dem Atlantik so ausgeliefert zu sein, war unangenehm. Ich fand es trotzdem gut und durfte im Laufe des Tages gleiches auch noch auf dem Board stehend Richtung Welle erleben. Da steht man dann, weiß es wird nicht reichen, drüber zu kommen und es ist sinnlos, sie anzupaddeln und mit ihr zu surfen, denn sie wird genau auf dir brechen. Also so schnell es geht darauf zu paddeln, das Board als Sprungbrett nehmen und über den einbrechenden Kamm zu springen. Oder es wenigstens versuchen… Das war sie also, meine erste Session am Limit dessen, was ich tatsächlich zu leisten im Stande bin. Ich hatte in den darauf folgenden Tagen dann weniger Glück mit dem Atlantik.
Unterschätzte die Wellen, weil ich mein Können überschätzte oder traf auf Close Out Wellen, die in der ganzen Breite mit einem Mal umkippten. Mit mir zusammen.
Am letzten Tag in Frankreich, fühlte sich der Winter schon sehr nahe an. Temperaturen, kühler als 7° Grad Celsius, hatten meine Ambitionen, sich in den mit seinen 15° Grad fast schon tropischen Atlantik zu werfen, im wahrsten Sinne des Wortes, abgekühlt. Aber hey, letzter Tag, die Sonne scheint – nur im Schatten ist es so kalt. Ich fische meinen noch vom Vortag nassen, stinkenden und vor allen Dingen eiskalten Wetsuit aus der Neo-Tonne. Das Anziehen fühlte sich an, als wenn ich mit Eisspray behandelt werde. Aber am Ende bin ich drin im Neo.
Als ich mein Board vom Auto klaubte, parkte hinter mir ein SUV ein. Die Art von SUV, die die Spielerfrau eines Bundesligisten benutzt, um ihr Biogemüse in der Münchener Innenstadt zu kaufen. Die Tür wurde geöffnet und eine ältere Dame wuchtete sich aus dem Auto. In Erwartung der französischen Schimpftirade, warum ich mein Board auf den Bürgersteig legen würde und überhaupt – überall meine Klamotten verteile, zog ich den Kopf ein. Aber es kam nur ein gebrummeltes „Bonjour” und die Matrone wackelte zur Heckklappe und zog ein verdammtes Shortboard aus dem Kofferraum und wenige Minuten später zuckelte sie damit Richtung Wasser. Dass ich mit meinem Wave Sup hier, wie an vielen anderen Spots, an denen Wellenreiter im Wasser sind, eher der Außenseiter bin, ist mir klar. Die Wellen waren am letzten Tag eher klein, vielleicht brusthoch, die Sonne schien und ich wollte auch mal mittendrin sein im Getümmel. Würden die Locals meine Leash schnappen und meine Reifen zerstechen? Doch Hendaye ist für alle da, wie mir Joan von HLC versicherte. Und so kam es dann auch. Zwar erschien die ein oder andere hochgezogene Augenbraue, als ich mit meinem 9.2er die Wellen anpaddelte, doch nach einiger Zeit merkten die Surfer im Wasser, dass ich keine Gefahr für sie war.
Eine Frage, die ich mir öfter stellte war, ob das Surfskaten, was ich beinahe täglich für eine Stunde oder mehr praktizierte, mir beim Surfen selbst geholfen hat? Nach dem Erlebten kann ich dies bejahen. Das Muskelgedächtnis wurde angeworfen, als ich anfing aufs Wasser zu gehen und bescherte mir die Möglichkeit meine Umgebung wahrzunehmen ohne meine Aufmerksamkeit auf das Halten des Gleichgewichtes zu fokussieren.
Das identische Szenario gab es vor ein paar Jahren und ich scheiterte jämmerlich. Hier wird meine These, dass Longboarding eigentlich wenig mit dem Surfen zu tun hat, bestätigt. Denn obwohl ich ja vor zwei Jahren im Sommer täglich mehrere Stunden auf dem Board unterwegs war, auf dem Wasser sah ich aus wie der erste Mensch. Dies hat natürlich auch mit dem Einschätzen des richtigen Setups zu tun. Es wäre verwegen zu glauben, als Einsteiger kann man ganz leicht mit dem 120 Liter Board in die Wellen. Die Bestrafung folgt auf dem Fuß bzw. unter Wasser. Mit dem größeren Board und mehr Volumen fühlt man sich sicherer und mit der Zeit kann man über kleinere Boards nachdenken. Nicht zu unterschätzen, sind auch die verschiedenen Shapes. Rocker macht das Board gemütlich. Schmale Boards sind naturgemäß nicht so kippstabil wie breite SUPs, wobei hier das Volumen auch wieder ein Rolle spielt. Das Board, das ich dabei hatte, war ein 9.2er Peak Wide von Oxbow mit 160 Litern. Perfekt um die Wellen abzureiten, doch für harte Turns hatte mein Können zweifelsfrei nicht gereicht. Und im Nachhinein hätte es ruhig weniger Volumen sein können, denn das Oxbow hatte ich eigentlich als Familienboard besorgt, entsprechend gutmütig war es. Dies gibt es auch noch als Peak in kleinerer Version, was ich mir bestimmt irgendwann hole. Für das, was ich in der einen Woche machen wollte, war es aber mehr als ausreichend. Nachdem ich am Sonntag vom Wasser kam, hatte ich drei Optionen. Mit Iban von HLC in eines der leckeren Restaurants gehen, nochmals auf die “Sportjam”, oder nach Hause fahren.
Essen gehen funktionierte aus Zeitgründen nicht, denn Iban war zu dem Zeitpunkt noch sehr weit weg. Die Sportjam? Stellt euch ein absolut futuristisches Gebäude mit dem Namen Kursaal vor, was genau vor einem von der Surfszene San Sebastians gefüllten Surfspot liegt. Glatter Asphalt der zum Cruisen einlädt runden das Areal ab. Am Tag vorher war ich dort, trank einen Espresso in einem der vielen Cafes, die am Stadtstrand beheimatet sind und schmunzelte über die Paare, die sich wie abgesprochen Surfskates gekauft hatten und verzweifelt versuchten, den wackeligen Achsen ihren Willen aufzuzwingen. Der Mann war in der Regel der, der das Sportgerät leidlich beherrschte, während seine Freundin den Körper hin und her wiegte um vorwärts zu kommen, was dann meistens im Stillstand endete. Doch es gab auch die gegenteilige Szenerie, in der sich der stolze Spanier etwas hüftsteif anstellte, während seine Freundin über den Asphalt schwebte.
Hinter mir Geschrei. Ein Streetskater wollte mittels Ollie über einen Randstein hüpfen. Er hätte auch darüber rollen können, doch er zog es vor zu springen und vergaß sein Board, das sich dann ins Schienbein einer Passantin bohrte. Momentaufnahmen eines ganz normalen Samstagnachmittages in San Sebastian. Die angesprochene Messe war dagegen eine Enttäuschung. Ein Raum, so groß wie ein Basketballfeld. In ihm zehn oder zwölf Stände mit Firmen, die bis auf zwei Ausnahmen nicht wirklich interessant waren. Lustig war, dass Peaceboards die Surf Skateboards für die Messe produziert hatten und so konnte ich eine Zeit durch die Gegend rollen. Aber dafür mußte ich nicht extra erneut in die baskische Küstenstadt fahren. Am Abend fuhr ich dann also Richtung Deutschland zurück, in der Gewissheit, dass, falls ich von der Polizei gestoppt werde, diese sofort die Knarren zieht. Denn der Wetsuit und die Neoprenschuhe hatten den Geruch einer Zombieapokalypse angenommen.
Falls ihr mal in die Richtung fahrt, sagt Bescheid. Wenn es die Zeit zulässt, bin ich dabei.
Text: Alex Lenz
Photos: Xue Gil, Thomas Oschwald